Optimierung mit Verstand und Geduld
Oktober. Die Welt färbt sich bunt. Ganz besonders bunt ist die Welt der Weinberge,
denn sie leuchten in diversen Gelb- und Rottönen. Ganz nach Art der Reben.
Ich fahre durch Pfalz und Rheinhessen.
Grüße die Nahe, bevor ich zwischen Bingen und Bad Kreuznach
meinen Bestimmungsort erreiche
Das Weingut Hessert in Horrweiler.
Mitten im Dreiländereck.
Ein kleiner beschaulicher Ort. Vor dem Weingut weiden Schafe, und Hühner gibt es auch.
Ich kenne sie nur flüchtig, dieses Winzerpaar.
Wir hatten eine kurze Begegnung auf einer Messe. Beeindruckt hat mich damals Corinnas Geschichte und Christians ruhige, sehr eigene, selbstbewußte Art.
Und die offene Freundlichkeit der Beiden, die mir in den Vorbereitungen zu meinem Besuch bestätigt wurde.
Nun bin ich also in Horrweiler, das gerade noch Rheinhessen ist.
Gemäßigt warmes Klima. Diverse Böden und eine beträchtliche Anzahl an Rebsorten.
Das ist ja markant für Rheinhessen.
Der Winzer ist soeben fertig mit der Lese und dieses Jahr zufrieden.
Auch wenn er sagt, dass es zwar gute Weine gäbe, aber zu wenig Ertrag.
Das lag an der Hitze des Sommers.
Die Trauben sind vorzeitig getrocknet, das bringt zwar Aromen, aber weniger Ertrag. Zudem ist Mitte Juli Hagel quer durch die Weinberge gefegt. Er hatte Glück, die Trauben waren gesund.
Es wurde sofort wieder heiß und trocken. Die Fäulnis blieb aus.
So gab es lediglich eine Art natürliche Selektion.
Er sieht es gelassen, so ist das eben.
Er hat gelernt, mit der Natur zu leben, auch wenn es scheint, er tue alles, sie in den Bann zu schlagen.
Denn Hessert arbeitet auf technisch hohem Niveau.
Optimierung
Da dies ein 20 Hektar Familienbetrieb mit vier Personen ist, wird alles optimiert.
Hier gibt es keine Erntehelfer. Er erntet mit Maschinen.
Das aber geht nur, sagt er, wenn der Weinberg gut vorbereitet ist.
Nur dann kann man Zeiten bestimmen oder, im Fall von Regen, die Trauben ein bis zwei Tage hängen lassen.
Sie müssen gesund sein. Dann droht ihnen nicht die Gefahr von Fäulnis.
Das zu erreichen, schafft keine Maschine, sondern nur seine Handarbeit.
Im Weinbergsjahr.
Dabei hilft Mutter Gertrud, die diese Arbeit heute noch liebt.
Ich bin erstaunt. Für mich ist das Neuland.
Ertappe mich bei dem Gedanken, dass maschinelle Lese doch nur Masse produziert?
Kann kaum sein, bei der Qualität, die der Winzer liefert.
Denn die Weine sind zart und eigen, sie haben eine Strahlkraft und Klarheit. Manchmal braucht es ein wenig Zeit, sich an sie heranzutrinken, doch dazu hatte ich im Vorfeld reichlich Gelegenheit.
Ich lerne fürs Leben: Das Wichtigste ist, sagt Christian Hessert, die Optimierung der Technik und kurze Wege.
Er spritzt so viel wie nötig aber so selten wie möglich. Um die Lockerheit des Bodens nicht zu gefährden.
Sein Spritzgerät sieht aus wie ein altes Ungetüm. Es ist eine Recyclingsspritze mit geschlossenen Seitenwänden, um zu verhindern, dass das Spritzmittel ausweicht und es in den Tank zurück zu führen.
Von Bio hält er nichts, denn er meint, dass Kupfer als Spritzmittel den Böden schadet.
Er recycelt den Trester als Humus.
Reißt auch schon mal eine Zeile raus, wenn die Dichte zu eng für die Erntemaschine ist.
Eine Neuanlage hat er horizontal zum Hang angelegt, weil die Steigung bei vertikaler Ausrichtung für den Vollernter nicht mehr machbar wäre.
Aber seine Selektion und auch die Vorlese, die macht er per Hand.
Er hat sich neue Gärtanks angeschafft, die unterschiedliche Größen erfassen können. So lassen sich die einzelnen Tranchen getrennt ausbauen. Und einen zweiten Traubenwagen.
Wie geht das also mit der Lese, will ich wissen, wie lange dauert das?
Es dauert nicht länger als anderswo, denn sie ernten Tranchen in Zeitfenstern.
Meist ist der Erntebeginn Ende September.
Und dann dauert es 3 Wochen oder länger, das bestimmen Jahr und Wetter.
10 Tage zuvor macht er mit den Eltern die Vorlese, hier wird noch eine letzte Selektion vorgenommen.
Diese ersten Trauben werden zum Gutswein verarbeitet.
Er entscheidet täglich, was geerntet werden soll. Und verlässt sich hier ganz auf seine sensorischen Fähigkeiten.
Die sind hoch. Und dann ist es die Kunst des Tages, ob der Lohnunternehmer, der die Erntemaschine fährt, ihn so eintaktet, wie er es braucht.
Wenn es gut läuft, ernten sie einen halben Hektar pro Stunde und das dreimal am Tag. Dann werden die Trauben eingemaischt, dazwischen muss er andere Partien pressen, klären oder umfüllen. Hier hilft der Vater tatkräftig mit. Der fährt dann oft zurück und holt die nächste Tranche, wenn Christian noch im Keller bleibt. Die Zeit der Ernte wird für ihn ein Nonstop Leben. Denn die Kellerarbeit macht er allein.
Schlagkräftig, so nennt er selbst seine Optimierung.
Kurze Wege. Gutes Material. Timing.
Gesunde Trauben das ist ihm das Wichtigste. Und nur, wenn die Trauben schnell in den Keller kommen, kann er seine ganze Klaviatur ausspielen.
Und diese ist: Tranchen einzeln ausbauen. Mal im Tank und mal im Fass.
Um sie nach der Gärung in schöne Weine zusammen zu setzen.
Er arbeitet mit langen Maischestandzeiten auch bei den Burgundern. Das mildert die Säure.
Den Silvaner hat er „sur lie“ ausgebaut, also auf der Hefe gelassen. Das ist großes Kino, doch davon später mehr.
Für den Ortswein werden die Trauben auf 50-70 hl/ha, für seine Premiumweine wird auf 30-50 hl/ha reduziert.
Wir fahren durch die Weinberge und er zeigt mir einige seiner Anlagen.
Und ein Phänomen, das 1985 ganze Zeilen zerstört hat. Oft ist hier in Rheinhessen Lössboden auf Lehm liegend. Durch dauerhaften Starkregen saugte sich die Lehmschicht voll und rutschte unter dem Löss einfach weg. Dadurch entstanden massive Wellen, die gut zu sehen sind. Auf meine Frage, was mit den Stöcken geschehen ist, sagt er nur:
Es war alles hin. Es ist ein Leben mit der Natur. Und Katastrophen kann auch ein Optimierer nicht beeinflussen. Da hilft nur Gelassenheit.
Hessert kümmert sich auch um die Brachen um ihn herum, er wird nächstes Jahr eine solche mit Scheurebe und Riesling bestocken.
Brachen gibt es viele hier in Horrweiler. Und wieder staune ich. Dachte, das sei nur an der Mosel so wegen der Steillagen. Es gibt, so Hessert, noch 12 aktive Weingüter hier. Vor zehn Jahren waren es noch doppelt so viele. Und dabei ist sein eigenes Weingut nahezu blutjung, denn es existiert in dieser Form erst in der zweiten Generation. Die Eltern haben die elterlichen Betriebe zusammengelegt seinerzeit. So kommt es, dass 5 der 20 Hektar auch im benachbarten Ockenheim stehen, das ist der Herkunftsort der Mutter.
Das spricht fast gegen die Optimierung der kurzen Wege.
Aber er kann sich nicht um alle Brachen kümmern, zumal es ja einige Jahre dauert,
bis man in Neuanlagen ernten kann.
Die Winzerfrau
Corinna, die zwar aus der Nähe von Saale-Unstrut kommt, aber damals (O-Ton!) nur soviel wusste, dass Wein aus der Flasche kommt. Sie hat sich auf das Weingut eingelassen, kennt die Weine und teilt Christians Streben nach Verbesserung der Qualität. Sie hat eine neue Webseite gestaltet und verwaltet diese. Sie ist mit ihm auf jeder Messe und verkauft tatkräftig, auch wenn dann keine Zeit für die Familie bleibt und die Woche sieben Tage hat.
Ob sie romantische Vorstellungen hatte? Nein, sie kannte ihren Mann und seine Arbeit ja lang genug, um zu wissen, was auf sie zukommt. Dennoch beschreibt sie ihre Zeit während der Lese als die einer alleinerziehenden Mutter mit einem überdurchschnittlichen Arbeitspensum.
Corinna, Anfang 30, lebendig, herzlich, sehr bestimmt, eine Karrierefrau wie es scheint.
Sie ist stellvertretende Abteilungsleiterin in der HR Abteilung einer Versicherung.
30 Stunden ist sie dort, trotz Kind und Weingut.
Ausbildung zur Versicherungskauffrau mit Schwerpunkt Kreditversicherung. Die Ausbildung und das anschließende Studium der BWL führte sie nach Mainz. Denn hier ist ein Olympiastützpunkt für Leichtathleten. Sie ist Geherin über die 20km Distanz und kann so während des Studiums das aufwändige Training beibehalten. Die Frage nach der Profikarriere stellt sich aber nicht, denn eine Handverletzung mit dauerhafter Schädigung erlauben ihr nicht, in ein Sportförderprogramm zum Beispiel bei der Polizei genommen zu werden.
Hier trifft sie Christian im Jahr 2002.
Der trainiert ebenfalls. Im Profilager der Speerwerfer bei der Sportförderkompanie der Bundeswehr.
Christian ist kurz davor, das Weingut zu übernehmen, und auch ihn begleiten ständige Verletzungen. Beides geht nicht. So gibt er die Leichtathletik auf.
Corinna trainiert noch einige Jahre, bis sie 2006 mit Christian in den Neubau des Weinguts zieht. 2008 heiraten die Beiden und 2010 verstärkt Charlotte die Familie.
2012 hat Corinna ein halbes Jahr in der Landwirtschaftsschule in Oppenheim einen Kurs für Winzerfrauen besucht, in dem sie die Grundzüge des Weinmachens und der Sektherstellung ebenso Marketing und Weinbuchführung gelernt hat. Das habe sehr geholfen, sagt sie.
Die Sensorik kommt langsam durchs Probieren, aber sie hält sich mit Urteilen in Kollegenkreisen zurück, weil sie glaubt, nicht an das Fachwissen der Weinmacher heran zu kommen. Ich glaube, dass sie da tief stapelt. Aber das zeichnet sie auch aus.
Im nächsten Jahr wird Corinna ihren Beruf aufgeben und ganz ins Weingut einsteigen.
Als ich sie frage, wie es zu diesem Schritt kam, sagt sie: Lange war es schön, ihren eigenen Beruf zu haben, eine andere Welt. Aber die Arbeit werde immer mehr und sie möchte mit Christian gemeinsam an der Optimierung seiner Linie arbeiten.
Das ist ein schönes Kompliment einer Frau an ihren Mann.
Und mir fällt die Anekdote auf der Messe ein, die auch ein Grund war, hierher zu fahren:
Stammkunden treffen am Stand ein und einer fällt Corinna um den Hals.
Das mag sie persönlich nicht so sehr, sehe ich, lässt es aber geschehen.
Es wird probiert, geredet. Der Kunde schaut Christian an und sagt:
„Mensch, ne tolle Frau hast Du, die gibst Du nicht mehr her.“
Ein typischer Spruch, ja sicher, aber nicht die Reaktion von Christian.
„Ja“, sagt er, „nach ihr habe ich lange gesucht.“
Der Winzer
Groß, athletisch, leise Stimme. Redegewandt. Eigen. Und sehr klar. Ein qualitätsbewusster Individualist, der von seinem eigenen Streben nach Optimierung getrieben ist.
Zeit hat er, der Christian Hessert, obwohl er seine Ziele ganz klar benennen kann.
Die Marke Hessert will er etablieren. Unabhängig von Jahrgang und Rebsorten.
Das ist ein neuer Ansatz. Ich finde ihn sehr spannend
Straight, klar und zugänglich will er seine Weine verstanden sehen.
Die Cuvées sollen Jahrgangs übergreifend gleich sein. Das schafft er, in dem er Teile der Tranchen im Tank liegen lässt und mit den neuen Jahrgang verschneidet. Da ist er hierzulande sicher einer der wenigen, die so denken. In der Champagne ist diese Art des Weinmachens ja ausschlaggebend für die Qualität.
Er wird in den Siebzigern in das elterliche Weingut hinein geboren.
Die Eltern teilen sich die Arbeit im Weinbergsjahr, auch die Verkostungen in einer Zeit, in der noch ganze Reisebusse vorbei kamen. Mutter Gertrud macht das heute noch.
Schon als Kind hat ihn das Arbeiten im Weinberg fasziniert. Er interessiert sich für die Abläufe innerhalb des Jahres. Mit sieben Jahren sitzt er auf dem Traktor. Er hat stets mitgeholfen, auch später bei der Bundeswehr, in seinen Leichtathletik Jahren.
Vieles hat er angestoßen an Veränderung und der Vater hat ihn gelassen.
Allein die Umstellung von der Herstellung lieblicher zu trocken ausgebauten Weinen hat ihn zwei Jahre Zeit gekostet. Der Markt war nicht mehr da. Das sieht er schon sehr früh.
Da galt es dann doch, Überzeugungsarbeit beim Vater zu leisten.
Das WIR steht in diesem Betrieb ganz oben.
Hessert macht sein Abitur. Dann ein halbes Jahr Praktikum im elterlichen Betrieb und ein halbes Jahr bei einem Weinabfüllbetrieb. Das waren seine Voraussetzungen für das Studium von Weinbau & Önologie in Geisenheim.
Erst noch die Grundwehrzeit bei der Bundeswehr, da ist er 18 Monate.
Dann also hin zum Studium. Das dauert acht Semester also vier Jahre.
Auch er trainiert in Mainz weiter in dieser Zeit.
2003 übernimmt er ganz offiziell das Weingut Hessert.
Und feilt an der Idee der Linie H.
Die Eltern bauen 1986 den großen Keller an.
Hier sind die Tanks und Barriques, die Füllmaschine und das Lager.
Die Außenwand des Kellers ziert ein Gemälde eines lokalen Künstlers. Langsam verwittert es und es ist schwer, sagt Christian Hessert, jemanden zu finden, der das gut rekonstruieren kann. Über dem Keller wird ein Wohnhaus errichtet, das sie zunächst vermieten.
Hier wird 2006 das Reich von Christian und Corinna.
Christian bewohnt bis dahin die kleine Ferienwohnung, die heute Gästen offen steht oder auch an Nachbarn vermietet wird, wenn diese Feste und viel Besuch haben.
Zwischen Wohnhaus und Ferienwohnung der alte Keller.
Hier sind Maschinen, und Geräte untergebracht. Die große Presse steht hier, die Gärbottiche, in denen Cabernet Sauvignon ruht, und zwei beachtliche Maischegärtanks.
Nun aber hinunter in das Herz des Betriebes:
Blitzblank ist es hier, total aufgeräumt, was mich nun nicht mehr erstaunt, modernste Technik wie zu erwarten war.
Kleine Besonderheit am Rande:
Er hat keine Kellerlisten sondern schreibt mit Kreide seine Notizen auf den Tank.
Das Mostgewicht in Oechsle und die Temperatur des Mostes.
Da der Gärprozess gerade in vollem Gange ist, klingt der Keller wie Musik. Ein bißchen so wie seinerzeit die Chillout Mixe aus Ibiza: hohe Schleifen mit leichtem Beat.
Ich bestaune nun die Gärtanks mit den drei Kammern
für 4 Tausend, 8 Tausend oder 2 Tausend Liter.
Und wir nehmen ein paar Fassproben, das ist aufregend.
Ortega: Kiwi, Stachelbeere, etwas restsüß, aber schon sehr spannend.
Riesling: sehr beerig, kräftige Säure
Weißburgunder: der ist noch überwiegend mostig
Scheurebe: sehr grün, aber schon leicht dropsig mit Himbeernoten
Dornfeldersuppe
Und nun passiert Charlotte, das dritte C.
Sie ist der junge blonde Wirbelwind der Familie.
Lachend stürmt sie in den Keller, lautstark, pure Energie.
Wir sollen zum Essen kommen und außerdem hat sie uns unbedingt mitzuteilen, dass sie und die Oma eine Brotschale für die Dornfeldersuppe schon aufgegessen haben.
Und sie will sofort mitprobieren.
Christian beugt sich zu seiner 5-jährigen Tochter und sagt: du kannst riechen, aber es ist kein Saft mehr, sondern schon Wein. Charlotte akzeptiert das, riecht aufmerksam und stürmt davon, nur um gleich zurückzukehren,
weil wir noch immer säumig sind.
Sie duldet nun keinen Aufschub mehr, das aber in solch fröhlicher Art, dass ich sie auf der Stelle in mein Herz schließe.
Die Dornfeldersuppe wird ihrem Namen nicht gerecht.
Es ist schlichtweg gesagt eine Untertreibung!
Diese Suppe ist eine Art Ragout aus Rindfleisch in einer sehr kräftigen Rotweinsauce.
Serviert wird das Ganze im Brotteig. Es ist unglaublich schmackhaft und ich nehme dankend den Nachschlag an.
Währenddessen will Charlotte so einiges wissen. Ob ich Nagellack mag und wo meine Kinder sind und wo ich herkomme und wie lange ich bleibe. Und dann erzählt sie, wie sie dieses Jahr Trauben geschnitten hat. Ihre Mutter hat einen Ausflug mit ihrem Kindergarten in den Weinberg organisiert, weil ein Kind, das in einer Weingegend lebt, einmal im Leben mit einem Weinberg zu tun haben sollte.
Leider kann ich meine Unterhaltung mit Charlotte nicht ausdehnen, was ich sehr schade finde, denn sie ist ein waches kluges Geschöpf. Denn ich habe an ihren Vater noch so einige Fragen. Ich verspreche, wiederzukommen.
Die Weine
Seit 2014 ist Hessert mit seinen Weinen sowohl im Eichelmann Führer als auch im Gault Millaut prämiert.
Das ist eine schöne Anerkennung.
Es freut ihn, gibt es doch ein wenig Aufmerksamkeit. Aber verlassen auf ein Standbein will er sich nicht. Ein Großteil seiner Kunden sind privat. Dafür steht er mit Corinna jährlich auf 5 Messen. Das Einzugsgebiet ist Rhein-Main genauso wie der Kölner und Düsseldorfer Raum. Und auch in München schätzt man Hesserts Weine.
Gastronomen zählen auch zu seinen Kunden in der Bonner Gegend. Und neuerdings hat er auch vermehrte Anfragen vom Handel.
Doch da tut er sich bei seinem Preisgefüge schwer.
Denn wie kann er bei Weinen, die zwischen 4 und 7 Euro kosten, noch mit der Marge nach unten gehen?
Auf seinen 20ha mit überwiegend Löss und Lehm, aber auch Sand und Kalkböden baut er
20% Riesling, 25% Burgundersorten, 10% Silvaner, 10% weiße Exoten (Ortega, Scheurebe, Müller-Thurgau, Gewürztraminer ) an im weißen Bereich.
Als rote Rebsorten hat er 10% Spätburgunder, 15% Dornfelder, 10% diverse (Regent, Portugieser, Cabernet Sauvignon) angepflanzt.
Er hat komplett auf Schraubverschluss umgestellt. Ich staune wieder und sehe, der Techniker macht sich Gedanken. Er hatte vor einigen Jahren Pech mit einer ganzen Korkcharge und das kurz vor Weihnachten. Dann war’s genug.
Da er aber nun einige Barrique Weine hat, will ich wissen, wie er den Alterungsprozess gewährleisten kann. Ganz einfach sagt er: der Schraubverschluss lässt dem Wein Luft. Der Korken geht tiefer in den Flaschenhals. Will er die Lagerfähigkeit beeinflussen, so arbeitet er mit CO2, das macht den Wein auch haltbar. Da mir diese Technik zwar neu ist beim Füllen, aber ich schon gesehen habe, wie Wein unter CO2 gepresst wird, leuchtet mir das ein.
Die Jahre werden zeigen, ob Christian Hessert recht hat.
Aber der Optimierer wird auch sicher das ständig überprüfen.
Die Fülle der Weine kann ich hier nur in einem kleinen Ausschnitt abbilden.
Es gibt drei Hessert- Linien:
Gutswein – Liter € 3,80
Ortswein – Spätlesen Charakter € 4,30
Linie H – Premium Weine € 6,00
Der Ortswein
2014 Riesling halbtrocken
In der Nase reife weiße Früchte, Apfel, Pfirsich, Blütenhonig, etwas Kühlendes. Am Gaumen ergänzt durch Grapefruit, leichtem Schmelz, lebendige Säure, Bittermandel, Apfelkerne, weißer Pfirsich. Mittellang im Nachhall mit präsenter zarter Säure und leichter Würzigkeit.
Der Wein ist ein guter Solist, aber auch zu Quiche Lorraine, Kartoffelsuppe, Flans, mildem Käse schön zu trinken. Mit seinen 11%Vol. ein Leichtgewicht.
2014 Chardonnay trocken
Nase ist zunächst etwas verhalten, dann öffnen sich Aromen von Schinken, Honigmelone, Ananas, Blütenblätter, Mandel. Am Gaumen zunächst leichte Zitrusspitzen, die reife Fruchtaromatik setzt sich fort, Ananas, Mandel, etwas Marzipan und Schinken. Am Gaumen eine schöne Länge mit nachhaltigem Frucht-Säurespiel.
Hier denke ich an kräftige Fische mit Speck oder Safransoße, Paillard vom Kalb mit Olive und Tomate, alle Arten von Risotto und Pasta begleiten diesen Wein.
2013 Regent trocken barrique
Grüne Noten in der Nase, Zweige, Thymian, grüne Walnüsse, Cassis, Brombeere, Pflaume, etwas Veilchen. Die Fruchtnoten verdichten sich am Gaumen gefolgt von kurzer Adstringenz. Würze breitet sich aus, Zigarrenkiste, Cassis, Bittermandel, Orangen, Kakao und grüne Nüsse. Der Nachhall ist lang mit auskleidenden und weichen Tanninen mündend in einem Pflaumen-Zigarrenfinish.
Dies ist ein vielschichtiger Wein, seriös und sehr trinkig. Als Speisen sehe ich Schweinefilet mit Kürbis oder Feige und Bandnudeln, Rindergulasch mit Süßkartoffelpüree, Braten vom Kalb oder Schwein, Brokkoli, Topinambur, Schoten, Rösti.
Rosé
2014 Spätburgunder „Blanc de Noir“ trocken
Absolut weiße Farbe. In der Nase zunächst ein Muffton, Kirsche, Marzipan.
Am Gaumen erfrischt Säure, gefolgt von Sauerkirsche, Mandel, Wacholder, Himbeere, üppige Fruchtaromen mit Schmelz. Im Nachhall ist der Wein mittellang mit leichter Adstringenz und Bitternote.
Ein schöner Allrounder und Terrassenwein.
2014 Portugieser Weißherbst halbtrocken
Malvenfarbe. Nase von Erdbeerblättern, Erdbeere, Kirsche, Mandel, Rauch, Sandelholz.
Der Wein ist fleischig am Gaumen, viel Kirsche, Erdbeere, Orangencesten, Mandel, etwas Brombeere.
Im Nachhall eine dezente Säure, rauchig mit reichlicher Restsüße.
Das ist ein süffiger Wein, kalt getrunken für Fruchtliebhaber perfekt.
Guter Speisenbegleiter zu deftigen Gerichten.
Risotto mit grünem Spargel, Salat mit Ziegenkäse, gegrilltes Gemüse, Lachs mit Fenchel, Vesper mit Terrinen, Salami, mittelalter Käse.
Die Linie H
Über den Gewürztraminer schrieb ich bereits gesondert. Ein Ausnahmewein.
2014 Silvaner H
In der Nase ein Blütenmeer, Muskat, getrocknete Aprikose, Birne, Toast. Die Aromen verstärken sich am Gaumen, volles Mundgefühl ergänzt von Limette und Akazienhonig. Der Nachhall ist geprägt von Würzigkeit und etwas Akazie.
Ein ausgezeichneter Wein. Hervorragender Begleiter zu Spargel, Topinambursuppe, Parmesanflan, milde Vorspeisen, milde Käse, Crêpes mit Lauch oder Pilzen.
2014 Chardonnay H trocken
Die Nase lässt barrique vermuten aber nur leicht. Toast, Rauch, Bittermandel, Haselnüsse, Blutorangen, Schale von Charentais Melone. Variation von Orangen und Mango am Gaumen, gefolgt von Ästen, Tabak, Nüssen. Breites ausladendes Mundgefühl. Im Nachhall eine leichte Adstringenz, die Frische und Struktur gibt. Lang mit viel Schmelz, Rauch und Toast. Orangenfinish.
Toller Wein, weil ausdrucksvoll und doch nicht überladen.
Ich denke an Seezunge mit Tomaten-Parmesankruste; Fischragout mit Safran und Wildreis; Kalbsragout mit Schalotten, Champignons, Sahne; Käsesuppe; Kalb im Blätterteigmantel, Brokkoli; Rösti aller Arten
2014 Grauburgunder H
Viele dunkle Aromen in der Nase: Litschi, gelber Pfirsich, Rosen, Muskat, überreife Trauben. Die dunklen gelben Früchte verstärken sich am Gaumen ergänzt um Tabak und Haselnüsse. Viel Extrakt, sehr dicht, zarte Säure im mittleren Bereich. Langer Nachhall mit großer Aromatik.
Dieser Wein ist großes Kino! Meine Speisenempfehlungen: Pasta mit Steinpilzen, Risotto mit getrockneten Tomaten und Austernpilzen, Tortellini mit kräftigem Käse gefüllt und Salbeibutter, Seeteufelroulade mit Speck und Spinat, Kalb und Morcheln, Kartoffelgratin.
2014 Cuvée H weiß halbtrocken
Weißburgunder, Grauburgunder, Chardonnay
In der Nase leichtes Mineral, reife Birne, Thymian, Honigmelone. Auftakt von frischer Säure abgelöst von Aromen wie reife Birne, Mango, Melone, etwas Drops, Limette, Waldhonig, Mandel. Langer ausbalancierter Nachhall mit schöner Frucht-Säure-Balance.
Hier ist der Speisenauswahl kaum Grenzen zu setzen. Pasta mit Zander, Käsespätzle, Tortelloni mit Trüffel, Huhn und Erbsenpüree, Edelfischragout, Frikassee vom Huhn, Weißer und Grüner Spargel mit Sc. Choron und Rohschinken oder Schnitzel.
2013 Nero H trocken
Zu diesem Wein gibt es eine Geschichte!
Die Eltern haben mit einem Rebenzüchter jahrelang zusammen gearbeitet. Es ist eine Neuzüchtung, aber es scheint, eine alte tschechische Rebsorte zu sein. Nun braucht dieser Züchter 2003 eine Referenz. Christian baut die Rebe aus auf einem Viertel Hektar.
Er erntet, der Wein ist sauer, er macht Glühwein daraus. Bis zum Jahr vier.
Dann hat er den Ertrag begrenzt und ihn früher geerntet. Erstaunlich, was daraus geworden ist.
Schwarzkirsche, Holunder, Cassis betören die Nase, etwas Tabak und Bitterschokolade. Am Gaumen zunächst leichte Säure abgelöst von Cassis, Toast, etwas Laub und Kirschenfinish. Im Nachhall mittellang mit sanften Tanninen und ausgewogener Säure.
Der Wein besitzt eine zarte und vielschichtige Aromatik. Er ist fleischig aber ohne Tannine. Das Toastige bildet einen guten Gegenpol zur Säure.
Hier wähle ich Pasta mit Bolognese, Kalbsragout, Geschnetzeltes vom Schwein, Spinat, Kürbis, Auberginen, Gemüseauflauf, Schimmelkäse
Schwer ist es, die Fülle zu begrenzen.
Die Fülle an Weinen, an Eindrücken und Geschichten in diesem Weingut.
Es ist spät geworden. Ein Foto des Kellergemäldes muss noch schnell sein.
Beschenkt mit weiteren tollen Weinen trete ich meinen Heimweg an.
Spannend ist der Einblick in die individuelle Welt eines technisierten Betriebes.
Berührend die Herzlichkeit der Familie!
Ich freue mich schon auf neue Begegnungen.
Mit einem Wein der Linie H!
Hier geht es zu den 10 Fragen an den Winzer
Was haben Leichtathleten und Winzer gemeinsam – um das zu erfahren, muß man den neuen Beitrag von Juliane gelesen haben. Entschlossenheit, Ausdauer und der Wille zum Erfolg sind schon mal ein paar Grundvoraussetzungen. Alles Weitere erfährt man in diesem kenntnisreichen und engagierten Text der ausgewiesenen Weinkennerin. Lesen und Verkosten.
Interessant diese Perspektive. Ich habe es gar nicht so gesehen, aber sicher ist Wille und Entschlossenheit eines Leistungssportlers ein guter Antrieb für die Präzision des Weinmachens. Zumindest eine solche des Optimierers Hessert.
liebe juliane,
leider habe ich einen besuch im wg hessert nicht geschafft…
wollte ja auf der rheingautour kurz mit der fähre übersetzen, aber leider war die zeit nicht da…
jedoch, dein bericht übertrifft ja fast einen persönlichen besuch –
schön geschrieben, appetitanregend und emphatisch – vielen dank dafür !
harald
Lieber Harald, ein Bericht kann nur annährend das Original beschreiben, wenn er das aber schafft, so ist die Schreiberin zufrieden.
Herzlichst, Juliane
Ich kann mich der Beurteilung der Weine nur anschliessen. Hatte mir ein Probepaket bestellt (12 Flaschen) und nun ist die 2. Bestellung unterwegs. Alle – alle – Weine absolut super. Meine Favoriten Nero H, Ortega Spätlese, Blanc de Noir.
Super Weine zu absolut erfreulichen Preisen.
Danke für dieses schöne feedback!