Das Telefon klingelt. Es schreit. Es schrillt eindringlich.
Egon winkt mir ungeduldig durch den Hörer zu.
Ich habe gerade wenig Zeit, denn ein Artikel will geschrieben werden,
das Büro braucht Aufmerksamkeit nach einer Urlaubspause, doch wenn Egon schrillt, ist ignorieren allemal zwecklos.
So frage ich den Hörer artig nach seinen Wünschen.

Wir machen eine Reise, ruft Egon fröhlich in den Hörer.
Bedauere, Bester, entgegne ich, ich war gerade unterwegs.
Ach, Spielverderberin, mault Egon.
Egon! Ich werde ernst, es passt mir nicht.

Ich möchte erwähnen, was Egon längst schon weiß, dass wir zwar Freunde sind, die sich bei Wein und Speise gerne zusammenfinden, und dass ich ebenso geduldig an Egons langjähriger Ausbildung zum Weinkenner arbeite, denn Egon ist sehr beratungsintensiv, aber das gemeinsame Reisen habe ich nach zwei verunglückten Versuchen für immer in die Kategorie des „Nie wieder“ abgeschoben.

Wo willst Du denn hin, frage ich, nun doch neugierig geworden.
Ins Herz der Marken! Seine Stimme hüpft am Telefon.
Ancona, Loreto und Jesi.
Oh, sage ich, dann wirst Du wunderbaren Wein entdecken.
Der Verdicchio des Gebietes „Castello de Jesi“ ist weltberühmt.
Kann sein, brummt Egon. Aha, denke ich, damit hat er sich noch nicht beschäftigt.
Es gibt auch schönen Rotwein dort, ergänze ich, den wirst Du mögen.
Jaha, raunt Egon. Er ist verschnupft, weil ich ihn nicht begleite.
Da es in dieser Stimmung zwecklos ist, Freund Egon umzustimmen,
beende ich das Gespräch, nicht ohne das Versprechen abzugeben, ihm ein paar Weintips zu notieren für seine Reise.

 

Das Anbaugebiet der Marken

Südlich von Rimini erstreckt sich das Gebiet bis zur Grenze der Abruzzen, San Benedetto del Tronto. Eingebettet zwischen der Adria im Osten und dem schützenden Appenin im Westen bietet die Gegend ein kühles, rauhes Klima, was die Weine frisch und fruchtig macht. Viele Jahre begnügten sich die Weinbauern mit dem Ausbau einfacher Tropfen, denn der Tourismus ermöglichte einen guten Absatz. Die Umkehr zu mehr Qualität hat sich in den letzten zwanzig Jahren aber auch hier bemerkbar gemacht. Waren früher der Anbau von Weiß- und Rotweinsorten gleichauf, hat sich das Gewicht inzwischen zu mehr Rotwein Ausbau ergeben.

 

Verdicchio

Vedicchio wird in zwei DOC Gebieten ausgebaut: Castelli di Jesi und Matelica, beide westlich von Ancona.
Es ist ein frischer, fruchtiger Wein mit kraftvoller Säure und Charakter.
Dem Verdicchio werde ich in einem anderen Artikel Ehre erweisen.

 

Hier eine kleine Anekdote zu Jesi:
Constanze, die Frau des Stauferkönigs Heinrich IV., war mit 42 Jahren schwanger und die Echtheit ihrer Schwangerschaft wurde angezweifelt, da sie für die damalige Zeit sehr alt war. Um dem Gerede ein Ende zu bereiten, ließ sich inmitten der Stadt ein Zelt aufstellen und gebar dort am 26.12.1194 ihren einzigen Sohn Friedrich, der spätere Kaiser des Römischen Reiches.

 

Rosso Piceno

Der Rosso Piceno ist eine Cuvée aus Montepulciano und Sangiovese, wobei der Anteil des Sangioves bei maximal 60% liegen darf. Sein Anbau ist rund um die Hauptstadt Ancona zu finden, Teile ziehen sich aber auch in den Hügelketten des Hinterlandes in den Süden. Der Rosso Piceno ist der Vorzeigewein der Gegend. Die Weine sind weich, leicht und würzig.
Der nur im Norden angebaute Rosso Cornero wird meistens sortenrein aus Montepulciano gekeltert, wobei maximal 15% Sangiovese vertreten sein dürfen, und gilt als der komplexere der beiden Weine.

 

Egon und der Wein der Marken. Rosso Piceno.

 

Am Ende bin ich froh, dass Egon ohne mich gefahren ist, denn die Reise wurde reich an Katastrophen wie Flugausfällen, Verspätungen, verpasstem Mietwagen. Und all das im kleinen Zeitfenster eines langen Wochenendes.
Nach Jesi ist Egon allerdings gekommen.

 

Rosso Piceno hat Egon seltsamerweise nicht gefunden in den Restaurants Anconas, sondern nur andere Cuvées oder reinsortigen Montepulciano. Deshalb und zur Wiederherstellung unserer Freundschaft, haben wir uns einen Abend ausgesucht, an dem es zu Salami, Käsen, frittiertem Fisch, Wildragout eine Verkostung von Rosso Piceno gab.

 

 

Hier sind unsere Funde, wie immer zufällig und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

 

Die Unkomplizierten

2022 Rosso Piceno DOC
Saldini Pilastri
13,5% Vol. – € 6,95

Die Nase wirkt sehr parfümiert mit Noten von Rose und Veilchen, gefolgt von Sauerkirsche, kandierten Früchten, Hagebutte, Brennnessel.

Am Gaumen kandierte Früchte, leichte Adstringenz, Sauerkirsche, Toast, schwarzer Pfeffer, Garrigue- Kräuter, Heidelbeere.

Im mittleren Nachhall weiche Frucht, etwas Säure, begleitet von zarten Tanninen.

Der Wein wirkt jugendlich. Er braucht etwas Luft.

Speisen
Vorspeisenplatte mit Leberwurst, Pasteten, gebackenen Sardinen, mariniertem Gemüse; Gebratene Chorizo, Kartoffelecken, Limetten-Mayonnaise

 

2022 Rosso Piceno DOC
Buscareto
13,5% Vol. – € 10,90

Malz, Lakritz, verbrannter Toast eröffnen die Nase, gefolgt von Jamaikapfeffer, Süßkirsche, Pflaume.

Sehr weicher Gaumenauftakt mit Noten von Pflaume, Süßkirsche, etwas Garrigue-Kräuter, leichte Säure, Lakritz.

Im kurzen Nachhall frische Akzente mit leichter Beerigkeit.

Der Wein ist eine Überraschung. Unkompliziertes Trinkvergnügen. Kühl servieren.

Speisen
Gebackene Polenta, Pilzragout, geschmorter Mangold; Flammkuchen mit Salsiccia, Staudensellerie, getrockneten Tomaten

 

Die Kompakten

2020 Piediprato
Rosso Piceno Superiore DOC
Saldini Pilastri
13,50% Vol. – € 9,80

Üppige Nase mit Aromen von Toast, Tabak, Kaffee, Sauerkirsche, Heidelbeere, Pfeffer, Lakritz, Rumtopf, Brennnessel.

Pflaume und Süßkirsche eröffnen den Gaumen, gefolgt von Liebstöckel, Heidelbeere, Toast, Tabak, Zartbitter, leichte Säure, Lakritz, Pfeffer.

Stoffiger Nachhall mit kräftigen dunklen Früchten und lebendigen Tanninen.

Der Wein ist sehr Aromen intensiv. Lang und weich. Ein Favorit.

Speisen
Pasta mit Wildschweinragout; Schweinelende mit Kräuterkruste und Kürbispüree

 

2020 Brecciarolo
Rosso Pieceno Superiore DOC
Velenosi
13,5% Vol. – € 8,80

Kirsche, Mandeln, Kaminrauch, Tabak eröffnen die Nase, ergänzt von schwarzem Pfeffer, Heidelbeere, Garrigue-Kräutern.

Am Gaumen frische Sauerkirsche, Heidelbeere, Pflaume, Mandeln, Tabak, schwarzer Pfeffer, Kaffee, Zartbitter.

Im langen Nachhall prägende Tannine, in Verbindung mit weichen Fruchtaromen.

Der Wein ist lang und sehr kompakt. Er braucht Zeit.

Speisen
Steak vom Hirsch mit Canberriesauce, Rösti; Coq au Vin in Rotweinsauce, Schalotten, Staudensellerie, gebackene Kartoffeln

 

2020 Solestà
Rosso Pieceno Superiore DOC
Velenosi
14% Vol. – € 12,90

Die Nase ist sehr kompakt mit Noten von Zartbitter, Rumtopf, Pflaume, Nougat.

Weicher Gaumenauftakt mit Sauerkirsche und leichter Adstringenz wird abgelöst von Röstaromen, Pflaume, Nougat, Liebstöckel.

Im Nachhall lang, sehr weich mit lebendigen Tanninen und runden Fruchtaromen.

Bei diesem Wein fiel die Entscheidung schwer, in welche Kategorie er denn gehöre.
Er ist unkompliziert, aber kräftig. Ein Favorit.

Speisen
Hasenragout mit Selleriepüree; Vesperplatte mit Salami, kräftigem Hartkäse, Garnelen in Korianderkruste

 

Der Gereifte

2017 Rosso Piceno DOC
Stefano Antonucci
13% Vol. –  € 11,00

Jod, Stall, Karamell, getoastetes Schwarzbrot eröffnen die Nase, gefolgt von Rumtopf, Zartbitter, Orangenceste, Kaminrauch.

Am Gaumen Toast, kandierte Früchte, etwas Pflaume, viel Tabak, Zartbitter.

Der mittlere Nachhall wird geprägt von kräftigen Tanninen und weichen Fruchtaromen.

Die Farbe dieses Weines  ist bemerkenswert: Purpur, fast schwarz. Er präsentiert sich trotz seines Alters und der gereiften Noten sehr leicht.
Ein Wein, der etwas Verständnis braucht.

Speisen
Semmelknödel, Ragout von Steinpilzen mit Petersilie; Moussaka; Pasta mit Bolognese

 

Egon und der Wein der Marken. Rosso Piceno.

 

Bezugsquellen

Saldini Weine
Pinard de Picard

Velenosi Weine
Mövenpick Weinkeller

Stefano Antonucci und Buscareto
Amazon

 

Die WeinPlanerin. Wein und Speise. Korrespondierend oder Konträr.