Neun Uhr morgens. Dienstag. Adenauerplatz in Berlin. Es ist Frühjahr.
Ich blicke in müde Gesichter. Denn viele von uns, die sich anschicken, geprüfte Sommelièrs zu werden, waren gestern Abend noch in ihren Betrieben, trotz Freistellung für die zwei Tage Schule, die uns für ein halbes Jahr zusammen schweißt.
Italien heißt das Thema, durch das wir in dieser Woche durchmarschieren, und der Lehrer interessiert sich nicht für unsere Müdigkeit.
Neun Uhr morgens. Die erste Flasche Wein wird aufgezogen.
Denn das Programm ist eng gestrickt. Schock. Halt! Nicht das jetzt.
Wir beginnen heute mit Lambrusco.
Um Neun Uhr morgens.
Neutralität hat uns der allseits geschätzte Sensorik Lehrer eingebläut. Wir sollen unabhängig von unserem Geschmack werden.
Ob er wohl bei Lambrusco eine Ausnahme machen würde…?
Leider ist er nicht hier, um uns zu beschützen, und so füge ich mich begleitet von einigen coolen Sprüchen meiner Mitschüler in das Unvermeidliche.
Verkosten, in zwei Minuten nach dem PAR System von Martin Darting. Neutral bewerten und brav alle Punkte abarbeiten. Und dann noch fix eine Speisenempfehlung notiert.
Um Neun Uhr morgens. Mit Lambrusco.
Mit Lambrusco verbinde nicht nur ich sämtliche Vorurteile, die man einem Wein nur andichten kann. Die teils kräftigen Rotweinaromen, kräutrig, zuweilen bitter, rauchig oder sehr fruchtbetont, dropsig, ergänzt von leichter Adstringenz verbunden mit Kohlensäure und 8-10 Grad Serviertemperatur ist kaum nachvollziehbar im Kopf.
Elf Uhr morgens. Samstag. Ein anderer Platz in Berlin.
Es ist Frühsommer. Und einige Jahre später.
Im Weinladen beginnen wir die Vorbereitungen für die monatliche Verkostung zu ausgesuchtem Thema.
Dieses Thema heißt heute Lambrusco.
Der Chef Sommelièr ist bekennender Lambrusco Fan.
Ich hatte seit meinem Tasting Erlebnis in der Schule selten das Bedürfnis verspürt, das Experiment zu wiederholen.
Nun aber erfahre ich, was guten Lambrusco von seinen den Markt überschwemmenden Artgenossen unterscheidet.
Dass die Winzer längst begonnen haben, Lambrusco auch trocken auszubauen.
Dass neben dem allgemein üblichen Tankgärverfahren (Charmat) längst gute Lambrusci in zweiter (Flaschen) Gärung hergestellt werden. Dass dieser Wein trocken ausgebaut und nicht allzu kalt serviert mit einem Vesper eine gute Liason eingeht. Und die süßere Variante ein feiner Begleiter zu Kuchen und Desserts ist.
Das Schöne an Lambrusco ist, dass er seine sehr eigene Struktur hat.
Fruchtig, aromenreich, manchmal gerbig, oft nussig, tabakig.
Dies in Verbindung mit Säure unterstützt von zarter Perlage schafft frische vielseitige Weine.
Es gilt, die Geschmacksmuster im Kopf neu zu sortieren!
Lässt man sich darauf ein, entstehen ungeahnte Geschmackserlebnisse.
Und: eine Herausforderung an jede Speisenbegleitung!
Lambrusco. Rot. Kalt. Schäumend. Gut.
Hinfort mit allen Vorurteilen über Rotwein mit Kohlensäure.
Die Verursacher dieses Beitrags sind
Gottfried Stutz von Hundertachtzig Grad
und Torsten Hammer von Der Prioratweinführer.
Sie haben anlässlich der #107 Weinrallye das Thema
Vorurteile Zurechtstutzen ausgerufen.
Schön, dies zum Anlass zu nehmen, etwas lang Vergessenes zu verkosten.
Hier sind meine Funde.
Sehr gute erschwingliche Alltagsvarianten
2015 Lambrusco Grasparossa DOC Secco Tappo R. Vino Frizzante
Villa di Corlo, Emilia Romagna
Purpur Farbe. Leicht schäumend im Glas.
Die Nase prägt Heidelbeere, etwas Cassis, Süßkirsche, Rosmarin und Veilchen.
Am Gaumen Auftakt von Fruchtnoten, etwas Drops wird abgelöst von cremiger anschmiegsamer Perlage.
Im mittleren Nachhall leichte Adstringenz, beständige zarte Perlage, etwas gerbig mit Kirsch & Mandelfinish.
Der Wein kommt rund, frisch und leicht daher.
Ein perfekter Vertreter, um alle Vorurteile aufzuräumen. Mein Favorit.
Man beachte auch den Alkoholgehalt von 11% Vol.
An Speisen bietet sich eine große Bandbreite. Vesper mit Blut- und Leberwurst, Räucherschinken, mittelkräftige Hartkäse, Oliven, eingelegte Pilze. Palatschinken mit sauren Nieren. Lasagne. Pasta mit Bolognese. Ragout von Kalbsleber mit Roter Bete.
2015 Lambrusco Grasparossa DOC Amablie Tappo R.Vino Frizzante
Villa di Corlo, Emilia Romagna
Purpur Farbe und kräftig schäumend im Glas.
Etwas verhalten in der Nase mit Brombeere, Erdbeere, Kümmel.
Kräftigem Moussieren im Gaumenauftakt folgen Noten von nassen Gräsern, mündend in Brombeer- Kirschnoten mit leichter Adstringenz.
Im kurzen Nachhall findet sich ein Bogen von kräftiger Säure über kurze Bitternoten zu Restsüße.
Dieser Wein braucht eine Serviertemperatur von maximal 8 Grad.
Auch hier beachtlich der zarte Alkoholgehalt von 9% Vol.
Der Amabile ist ein guter Speisenbegleiter zu Erdbeer Tiramisu, Creme brulée mit Feigensoße, Schokoladenkuchen. Aber auch im deftigen Bereich passt er gut zu Wachteln in Rosinensoße oder Geröstetem Graubrot mit Auberginentatar.
Besonderheiten eines Lambrusco Maniak
2010 Lambrusco di Modena Spumante DOP
Cantina della Volta, Emilia Romagna
degorgiert 2015
Hellrote Farbe, fast Lachstöne.
Etwas laktisch in der Nase, Erdbeere, kräutrig, Johannisbeergelee, Zigarrenrauch.
Am Gaumen wird eine kräftige Perlage abgelöst von Cassis, Erdbeere und Rauchnoten. Viel frische Kohlensäure mit Würzigkeit und Tabak.
Im langen Nachhall beständige sehr feine Perlage, Erdbeernoten, nussig.
Dies ist anders. Es ist Schaumwein der feinsten Art. Blind verkostet tippte man sicher auf Rosé Sekt. Eine fröhliche Überraschung.
Begleiten werden diesen Wein Mortadella, Schinken, Oliven. Ebenso Tomatenmousse mit Basilikumschmand. Auch Rauchlachs und Rauchaal auf gebratenen Auberginen oder marinierte Scheiben vom Kalbsbraten mit Kräuterremoulade passen gut.
2015 Lambrusco di Sorbara Rimosso DOP
Cantina della Volta, Emilia Romagna
„Rimosso“ bedeutet, dass der Wein auf der Hefe belassen wurde. So ist er trüb im Glas.
Waldbeeren und -blätter in der Nase werden ergänzt von Süßkirsche, Brombeere und Holunderblüten.
Am Gaumen leicht dropsig sanfte Perlage mündet in Aromen von Süßkirsche und Brombeere, abgerundet von Holunder und einer auskleidenden Säure.
Im mittleren Nachhall viel Kirsche und Holunder, etwas brausig.
Dieser Wein ist eine kühle Perle. Die leicht süßliche Säure ist sehr eigen.
Ein Wein für geübtere Zungen.
Guter Apero zum Carpaccio vom Rind oder Räucherschinken mit Gurkencreme.
Ebenso passen leichte Desserts: Panna Cotta mit Himbeeren, Heidelbeer Cheescake.
Ein Lambrusco mit 3 Gläsern im Gambero Rosso
2015 Lambrusco Concerto Reggiano Vino Frizzante Secco DOCG
Medici Ermete, Emilia Romagna
In der Nase Heidelbeere und opulente Kräuter, Brombeere, Lakritz, Süßholz.
Am Gaumen leicht dropsiger Auftakt, cremig weiche ausfüllende Perlage mündend in kräutrigen Fruchtaromen gefolgt von leichter Säure und Brombeergelee.
Im mittleren Nachhall leicht stahlig, kräutrig, mündend in einem Brombeerfinish.
Die Cremigkeit am Gaumen ist sehr schön. Die Süße im Nachhall überwiegt zunächst, aber die kräutrige Stahligkeit gleicht das aus.
Auch hier bietet sich eine Vielzahl von Speisenmöglichkeiten. Wildpatestete mit Canberries, Morbier mit Feigenmarmelade, Carpaccio von Roter Beete und Basilikumschmand, Gewürzbrot mit Oliventapenade, kalter Braten vom Schwein und Estragonremoulade, Bortsch, Rösti mit Kalbsragout.
Lambrusco ist Rot. Kalt. Schäumend. Gut.
Bezugsquellen
Lambrusco Grasparrosa Secco und Amabile € 7,50 ohne Versand bei VineShop24
Lambrusco Concerto Reggiano € 6,45 ohne Versand bei VineShop24
Lambrusco die Modena Spumante € 18,90
und Rimosso € 15,80 ohne Versand bei K+U Weinhalle
Ich danke VineShop24 für die freundliche Unterstützung.
Die Weinplanerin. Wein und Speise. Korrespondierend oder Konträr.
Hier geht es zur herrlich flotten Zusammenfassung der Weinrallye von Gottfried Stutz.
Die Weinrallye ist ein monatlich stattfindendes Blogevent. Jeweils ein anderer Blog bestimmt ein Thema und ruft die Blogosphäre dazu auf, zu diesem Thema einen Artikel zu verfassen. Sinn und Zweck einer Weinrallye ist einzig und alleine der Spass und die Motivation, schöne Themen aufzuarbeiten. Bei der Weinrallye darf jeder mitmachen, egal ob Weinblogger oder nicht. Auch Nichtbloggern bieten die Gastgeber immer die Möglichkeit ihre Beiträge auf ihrem Blog zu veröffentlichen. Auch bei den Kollegen vom Weinforum kann man seine Beiträge einstellen. Bitte verlinkt Eure Beiträge in der Facebookgruppe Weinrallye und in den Kommentaren des gastgebenden Blogs. Im Anschluss erscheint dann bei Facebook und auf dem gastgebenden Blog die Zusammenfassung.
liebe juliane,
lambrusco – morgens um 1/2 Zehn… danke für die gänsehaut die deine ersten zeilen verursachen !!
aber dann, bei deinen wieder mal hervorragenden weinbeschreibungen war ich sofort neugierig.
und… gestern abend hatte ich das piemonteser gegenstück dazu – einen freisa aus barbaresco
der nicht die perlage des lambrusco, doch aber leichte bizzle bubbles auf der zunge hat –
vor allem aber eine ganz ähnliche aromatik wie gute lambrusci.
danke für den schauder am frühen morgen 🙂
harald
Ja, Harald, ich kenne auch ein Piemonteser Gegenstück: Bonarda des Weinguts „Le Marie“.
Lambrusco, Schrecken aller Weintrinker. Aber „EinfachWein“ räumt auf mit den Vorurteilen. Verblüffend, vielseitig und vollmundig bricht der Blog eine Lanze für die Weiterentwicklung dieser Schaumwein-Schätzchen. Ich hätte nie geglaubt, dass mich jemand zur Verkostung dieses Roten aus dem Kühlfach überreden könnte. Nun ist es passiert. Ein Experiment, das zur Wiederholung reizt. Und ein weißer Fleck auf der Weinlandkarte weniger.
Schön, wenn der Blog ermuntern kann, auch über den Gläserrand hinaus zu trinken.
Danke – ein auch von mir verschmähter Wein. Vielleicht gebe ich ihm doch nochmal eine Chance..
Es ist auf alle Fälle einen Versuch wert!
Danke Juliane, dank dir werde ich den Lambrusco wieder probieren. Eigentlich auf meiner No-Liste muss ich mich jetzt doch damit befassen 😉
LG, Jana
Es lohnt sich wirklich, Jana. Nur Mut!