Bei der zunehmenden Internationalität der Rebsorten auch in Deutschland, wollen wir einen Blick werfen auf eine weiße Rebsorte, die zu den deutschen Klassikern gehört. Immerhin knapp 24.000ha (Quelle: Deutsches Weininstitut) Rebfläche in allen Anbaugebieten beansprucht sie für sich, versinkt aber seit Jahren in der Bedeutungslosigkeit. Die Konsumenten schenken ihr wenig Beachtung. Die Winzer haben zunächst aus der Not eine Tugend gemacht und unsere Rebe in weißen Cuveés versteckt, wo sie oft für Frische und Würzigkeit sorgt. Langsam aber dämmert am Horizont eine Art Auferstehung. Für meinen heutigen Mittelpunkt, den Müller-Thurgau, auch gerne als Rivaner etikettiert.
Der Müller, wie er allgemein genannt wird, ist eine 1882 in Geisenheim gezüchtete Kreuzung aus Riesling und der Weißweintraube Madeleine Royale (Pinot Noir & Trollinger). Irrtümlich als Kreuzung zwischen Riesling & Silvaner ausgewiesen brachte ihr den Namen Rivaner. Den darf sie heute noch tragen, andere Namen wie „Silvaner Riesling“ sind nicht mehr erlaubt.
Warum der Müller Müller heißt ist schnell erklärt. Der Schweizer Agronom Hermann Müller züchtete die Traube und nahm sie später in seine Heimat in den Kanton Thurgau mit. Dort wurde sie im Weinbauinstitut Wadenswill weiter entwickelt und 1913 zu Ehren ihres Züchters mit seinem Namen und seiner Herkunft offiziell bezeichnet. Auch wenn Herr Müller zu Lebzeiten dagegen war.
Warum aber ist der Müller nun so unbeliebt?
Ich denke, er ist ein Opfer von Mißverständnissen und dem zeitlichen Wandel von Geschmack.
Müller-Thurgau war bis in die 1990er Jahre die in Deutschland meist angebaute weiße Rebsorte.
Ihre geringen Ansprüche an die Bodenbeschaffenheit prädestinierte sie zum Anbau in allen Gebieten und diese Verbreitung hat sie auch heute noch. Ihre milde Säurestruktur verbunden mit leichtem Muskatton birgt ihren Reiz. Die frühe reife in Verbindung mit Säurearmut führte allerdings oft zu dünnen Weinen, die von den Konsumenten als uninteressant abgetan wurden. Auch wurde durch regionale Vorlieben einzelner Anbaugebiete der Markt von halbtrockener bis lieblicher Exemplaren überschwemmt.
Die Nachfrage sank. Die Produzenten besannen sich in den 1990er Jahren auf die Kultivierung der anspruchsvolleren Riesling Traube, welche durch ihre besondere Reaktion auf die Bodenbeschaffenheit den Geschmack, das sogenannte Terroir, einzelner Anbaugebiete besonders zur Geltung bringt. Und im Gegensatz zum säurearmen Müller Weine mit hohem Alterungspotential birgt.
Kehrtwende.
Einige Winzer haben schon vor langer Zeit das Potential des Müller neu aufgegriffen. Und entdeckt, dass die Rebe, in einige Höhe gepflanzt, sehr wohl in der Lage ist, den Eindruck des Bodens wider zu spiegeln. Auch ein Ausbau „sur lie“ mit langem Hefelager bekommt dem Müller gut.
Heute finden sich im Alkohol mäßige Weine mit Mineralität, würzigen Noten und Cremigkeit bei vielen Winzern. Allerdings sind die Erscheinungsbilder des Müller so vielfältig, dass es schwer fällt, ihn allumfassend zu charakterisieren. Hoffen wir, dass die Winzer in den kommenden Jahren das Potential des Müller weiter verfeinern.
Alles Müller? … Einfach Wein.
Hier sind meine Funde.
Wie immer selektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Bemerkenswert die Unterschiedlichkeit im Ausbau und den Aromen.
Im Folgenden sind die Weine nach ihren Stilen zusammengefasst.
Die Klassiker
2017 Escherndorfer Müller-Thurgau
Horst Sauer, Franken
Die Nase ist geprägt von Eisbonbon, weißen Blüten, Mandel, Aprikose, Litschi.
Am Gaumen zarter Schmelz gefolgt Mandel, Aprikose, leichter Cremigkeit und etwas Drops.
Im kurzen Nachhall Eisbonbon, Ginster, Litschi, verhaltene Säure und etwas würzig.
Zarter Wein. Leicht. Sehr gelungen.
Speisen
Tomatensuppe mit Garnelen im WanTan; Saiblings Carpaccio mit Zitronenöl und Olivenbaguette; Pasta mit Speck, Zwiebeln, Tomaten und mediterranen Kräutern
2016 Müller-Thurgau trocken
Pauser, Rheinhessen (Liter)
In der Nase Stachelbeere, kräutrig, Litschi, geröstetes Schwarzbrot, Eisbonbon, gestossener Pfeffer.
Frischer Gaumenauftakt mit leichter Säure, Pfeffer, etwas brausig, Thymian, Stachelbeere, Himbeere.
Im kurzen Nachhall etwas solistische Säure, toastig mit pfeffrigem finish.
Leichter unkomplizierter Wein mit ansprechender Säurestruktur. Guter Solist.
Speisen
Olivenbaguette mit Tomatenbutter; Forelle im Ganzen gebraten mit Kräuterfüllung, Salzkartoffeln; Gebackener Mozzarella mit Spinatsalat
2017 „Make Müller Great Again“
Nussdorf Müller Thurgau trocken
Emil Bauer & Söhne, Pfalz
Walnüsse, Litschi, Stachelbeere, Majoran, nasse Wolle, Krokant, kräutrige Aromen in der Nase.
Am Gaumenauftakt Schmelz von Akazienhonig, Litschi, weißem Pfeffer, gelbem Apfel.
Im kurzen Nachhall leichte frische Säure mit nussigen Elementen und etwas Schmelz.
Frischer unkomplizierter Vertreter. Die Polemik des Titels wird auf dem Etikett ausführlicher erklärt.
Speisen
Gegrilltes Gemüse, Oliventapenade, Bruschetta, Pizzabrot; Lachstatar mit geröstetem Sesam und Frischkäse Baguette; Flammkuchen mit Ziegenkäse und Pilzen
2017 Müller-Thurgau
Eichstetter Herrenbruck
Friedhelm Rinklin, Baden (Bioanbaubetrieb)
Stahl, Litschi, Muskat, Aprikose, Nüsse, Akazienhonig in üppiger Nase.
Gaumenauftakt leicht dropsig, gefolgt von Bittermandel, Hönig, Blüten, Nüssen.
Im kurzen Nachhall Akazie mit frischer zarter Säure.
Sehr einheitlicher Wein. Leicht und rund.
Speisen
Rösti mit Rauchlachs; Geräucherter Aal und Makrele mit Avocadocreme; Flammkuchen mit Speck und Pilzen
Die Überraschungen
2016 Müller-Thurgau trocken Tradition
Weingut Bergdolt Reif & Nett, Pfalz
Kiwi, Stachelbeere, weißer Pfeffer, Holunderbeeren, Muskat in der Nase.
Schmelziger Auftakt am Gaumen mit zarten Fruchtaromen, etwas Eisbonbon, feingliedrige Säure.
Im Nachhall kurz mit frischer feiner Säure, Muskat, etwas rauchig.
Unkompliziert, leicht und sehr gelungen. Preis-Leistungs-Sieger!
Speisen
Caesar’s Salad mit Parmesandressing; Lachs Creme mit Laugengebäck;
Vorspeisenvariation mit Speckmuffins, mildem Käse, marinierten Champignons, marinierten Zucchini, Quarkdip mit Rauchsalz
2012 Müller-Thurgau trocken
Juliusspital, Franken
Üppige Nase von Blütenhonig, weiße, Pfeffer, leichter Haselnuss, Birne, Honigmelone, Veilchen, Muskat.
Am Gaumen leichter Schmelz gefolgt von sanfter aber präsenter Säure, pfeffrig, kräutrig.
Kurzer Nachhall mit sehr balanciertem Frucht-Säure-Spiel.
Zart. Gut ausgewogen im Süße-Säurespiel. Die Säure gibt im Hintergrund die Struktur.
Speisen
Gebratene Garnelen in Kräuteröl mit Tomaten-Focaccio; Kalter Braten vom Kalb mit Estragon Remoulade; Brotauswahl mit Aufstrichen: Humus, Taramas, Oliventapenade, Schmand mit getrockneten Tomaten
2012 Sulzfelder Cyriacusberg Müller-Thurgau trocken
Zehenthof Luckert, Franken
Reife Nase von Toast, gemahlenen Mandeln, Litschi, Muskat, Tabak, Aprikosenkompott.
Im Gaumenauftakt leichtes Mineral gefolgt von Litschi, gelbem Pfirsich, Holunderblüte leicht stahlig.
Im mittleren Nachhall leicht zitrisch mit sanfter Säure, Muskat und etwas stahlig mineralischen Noten.
Sehr süffig. Erinnert ein wenig an einen Burgunder. Die stahligen Noten heben ihn heraus.
Speisen
Pfifferlings Risotto; Spargel mit Kalbsfilet und Sauce Choron; Tomatenkuchen mit Wildkräutersalat; Mortadella, milder Käse und Schnittlauchquark
Die Untypischen
2017 Müller-Thurgau vom Löss
Franz Keller, Baden
Eisbonbon, Stachelbeere, eröffnen die Nase, Schale von Honigmelone, Garrigue Kräuter, etwas grüne Paprika.
Weicher Gaumenauftakt mit Aromen von Honigmelone und Pfirsich, gefolgt von Garrigue und zarter doch präsenter Säure.
Im mittleren Nachhall viel Mineral und etwas Schmelz, kräutriges finish.
Gut in seiner Struktur, ein wenig grasig.
Speisen
Ricotta Ravioli mit Lavendelschaum; Koriandergarnelen und mediterranes Gemüse; Quiche mit Fenchel und Pinienkernen
2017 Müller- Thurgau trocken
Schloß Castell, Franken
In der Nase laktisch, kurz animalisch, Stachelbeere, etwas Jod, Litschi, Tabak.
Am Gaumenauftakt frische Säure, Ginster, Stachelbeere, etwas Cassis, Melone. Fast dunkel.
Im mittleren Nachhall kräutrige Noten und leichte Strenge.
Guter Speisenbegleiter. Kein Solist.
Speisen
Risotto mit Chorizo und Erbsen; Curry vom Huhn mit Kürbis und Sprossen; Rucola mit gebackenem Ziegenkäse, Waldhonig, Lavendel
2016 Müller-Thurgau Tauberzeller Hasennest
„Damaszener Stahl“
Winzerhof Stahl, Tauberfranken
Pink Grapefruit, Holunderblüten, Muskat, Mandelblätterund kandierte Rosen eröffnen die Nase.
Leicht mineralischer Auftakt am Gaumen gefolgt von Litschi, Limette, Aprikose, Holunder, Muskat, Kaminrauch, Schmelz.
Im mittleren Nachhall ausgewogen mit mineralischem finish.
Der Wein ist anfangs nicht zugänglich. Seine Aromen entfalten sich in langsamen Schritten.
Braucht Luft. Die Trauben wachsen auf 300m.
Speisen
Ravioli mit Steinpilzen und Basilikumsauce; Pochierter Lachs mit Erbsenpüree;
Möhren, in Koriander glasiert, mit marinierter gebratener Hühnerbrust, Wildreis
Müller-Thurgau? … Einfach Wein.
Bezugsquellen
2017 Müller-Thurgau vom Löss, Keller € 10,00
2017 Müller-Thurgau , Friedhelm Rinklin € 7,45
2016 Müller-Thurgau Tradition € 4,90
2016 Müller-Thurgau Tradition € 9,90
1€ pro verkaufter Flasche wird gespendet an die UNO Flüchtlingshilfe
2012 Sulzfelder Cyriacusberg, Zehenthof Luckert € 9,90
2016 Tauberzeller Hasennest, Winzerhof Stahl € 12,90
2017 Escherndorfer Müller-Thurgau, Horst Sauer € 7,20
2016 Müller-Thurgau, Pauser 1L € 6,45
2017 Müller-Thurgau, Juliusspital € 9,40
2015 Müller-Thurgau, Schloss Castell € 8,00
Die WeinPlanerin. Wein und Speise. Korrespondierend oder Konträr.
Mit viel Liebe zum Detail ein uralter Tropfen neu entdeckt. Wenn man den Blog ließt, ist es der Mühe wert. Nehmen wir uns also die Zeit, einen zu lange verpönten Bekannten wieder kennenzulernen.
Hach, jetzt hab ich Lust auf irgendwas mit Garnele oder Olive – und ein Gläschen Müller! 😉