Vergessen Sie alles, was Sie über Reben wissen! Vor allem alles, was Sie bisher gesehen haben!
Vergessen Sie romantische wellige Weinberge im Sonnenlicht, oder bunte Blätter mit prallen Trauben….
Folgen Sie mir auf einen Ausflug der anderen Art!
Ein Besuch bei den Wildreben in Ketsch.
Ketsch, das ist ein Ort am Altrhein zwischen Schwetzingen und Speyer gelegen, für mich nahezu vor der Tür.
Der Altrhein ist ein Teil des Rheins, der durch die Begradigung des Flusses zu einem Nebenarm wurde. Es gibt hier mehrere Inseln und Seitenarme. Eine schöne Gegend für Radfahrer, Spaziergänger und Angler. Die Rheininsel bei Ketsch ist 1983 zum Naturschutzgebiet erklärt worden und das ist gut so. Denn hier findet sich an einer von drei Stellen in Deutschland neben Funden in Frankreich, Split und Kroatien, die größte Ansammlung der Wildrebe, „vitis silvestris“, welche man als Großmutter der heutigen Reben bezeichnen darf. Und die Wildrebe ist vom Aussterben bedroht.
Rudolf Knoll, Urgestein des Weinjournalismus und Chefredakteur hatte in der
Ausgabe der VINUM 07/08 2016 einen Beitrag über diese eigenartige Pflanze verfasst.
Und eine kleine Exkursion angeboten, der ich nur zu gern folgte.
Anfang Oktober war es soweit.
Ich treffe mich mit Gleichgesinnten, vornehmlich aus der Pfalz, viele sind Wein- und Kulturbotschafter, manche einfach Wein Afficionados.
Mit von der Partie Fritz Schumann, Weinhistoriker und langjähriger Stellvertretender Direktor der staatlichen Lehr- und Forschungsanstalt Neustadt. Er hat diese Reben entdeckt und sich für ihren Erhalt stark gemacht. Er hat auch eine Duplizierung vorangetrieben, die im Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof in Siebeldingen realisiert wurde. Dort erntet man 10-15l pro Jahr. Wir werden diese später kosten.
Im Geilweilerhof trifft er auf Dr. Erika Maul, die sich schon in ihrer Promotion mit der Ampelografie alter Reben beschäftigt hat. Sie schafft es, in einem vier Jahres EU Projekt, die Wildreben mit ihren genetischen Fingerabdrücken zu erfassen und das Gebiet in Ketsch genau zu kartieren. Auch Erika Maul ist anwesend, um uns mit lebhafter Begeisterung ihr Wissen weiter zu geben.
Und davon hat sie reichlich. Zum Beispiel hat sie festgestellt, dass es unendlich viele Spielarten der Wildrebe gibt. Und dass diese bestäubt wird von durchreisenden Vögeln, welche andere Rebsamen mitbringen. Nicht immer ist das hilfreich für den Fortbestand der Rebe. Aber sie hat auch herausgefunden, dass die Ketscher Rebe den Funden an der französischen Seine am ähnlichsten ist.
Die Rebe ist ursprünglich nur Rot. Weiße Exemplare sind Mutanten.
Und sie ist extrem reich an Säure, was ihren Genuss durchaus erschwert.
Sie ist eine Liane, die sich an Bäumen hochrankt. Wenn sie dann ganz oben ist, entwickelt sie ihr Dach, sprich Blätter, Blüten und eben Trauben.
Die Trauben in dieser Höhe kann niemand ernten, so gehören sie den Vögeln.
Und wenn Fritz Schuhmann Glück hat, dann findet er die Rappen auf der Erde.
Wir treffen uns am Eingang zur Rheininsel.
Über eine alte schöne Holzbrücke mit Dach geht es hinein in das Naturschutzgebiet.
Seltsam ist, festzustellen, dass die Wege hier geteert sind.
Eine Weile geht es mit Fragen und Gesprächen auf den Wegen,
Fritz Schumann führt aus, dass das Hochwasser, was jährlich den Rhein überflutet, gut ist für die Rebe, weil es sie schützt vor der Reblaus, denn diese mag kein Wasser.
So erklärt sich vielleicht ein Teil des Überlebens dieser Pflanze.
Plötzlich biegen wir ab durch Gestrüpp und stehen mittendrin im tiefsten Wald. Stellen von Grün zeigen, wo das Sonnenlicht ankommt, es ist heute verhangen, so lässt sich das nicht überprüfen.
Und dann zeigt Fritz Schumann auf einen Stamm, der sich am Boden entlang rankt, von Moos bewachsen ist.
Ein kleines blaues Schild zeigt eine Kennung: K51.
K für Ketsch und 51 für die Nummer des Fundes.
Das also ist die Rebe? Ich bin verwirrt. Und langsam beginne ich, zu verstehen.
Die Rebe sucht sich zwar Bäume zum Hinaufwachsen, aber zuweilen fallen Bäume um, dann muss sich die Rebe einen neuen Weg suchen. Das erklärt, dass sie am Boden zu einem dicken Stamm wird, den ungeübte Augen nicht erkennen können.
Ja, sagt Schumann, das ist auch oft das Problem mit den Waldarbeitern. Sie können das nicht unterscheiden. Und so ist manche Rebe schon unfreiwilliges Opfer geworden.
Erika Maul ergänzt, dass die Rebe sich auch manches Mal eine Hecke sucht, um hochzuwachsen, wenn dann jemand eine Wiese mäht, denn es gibt hier auch traumhaft schöne Lichtungen, dann ist das Wunderwerk dahin.
Ich sagte eingangs: vergessen Sie romantische Weinbergsbilder. Das hier ist anders.
Aber ungleich spannender.
Wir gehen weiter und kommen auf eine große Lichtung mit toller Wiese und einem imposanten Baum. Hier sehen wir nun, wie die Wildrebe sich zu einem Blätterdach aufschwingt und in höchster Höhe Trauben hängen. Für die Bilddokumentation hätte es wohl einer Profikamera gebraucht. Aber dann, Glück für uns Laien, finden sich an anderer Stelle wenige winzige Träubchen in Augenhöhe. Erika Maul erntet sie, um auch dieses Kleinod zu untersuchen.
Ich bin beeindruckt und restlos zufrieden.
Es geht zurück, nicht ohne am anderen Ende der Insel einen fernen Blick auf die Ofterstädter Reben an einem weiteren Seitenarm zu werfen.
Einen kleinen Lehrpfad gibt es hier auch.
Rudolf Knoll hat als weiteren Programmpunkt eine kleine Verkostung mit uns geplant.
Nach Anschauung der Rebe dürfen wir nun verkosten, wie das schmeckt.
Wir erhalten eine Kostprobe aus Fritz Schumanns privatem Keller:
2004 Wildrebe
Gemischter Satz aus drei Wildreben, im 20l Glasballon ausgebaut, spontanvergoren
In der Nase leichter Alterston, dunkle Beeren, Schokoladennoten.
Am Gaumen der angekündigte „Schock“: sehr kräftige Säure, gefolgt von Sauerkirsche und Holunder, pelzige Tannine, mündend in leichter Tannintruktur mit Teer und Espressonoten.
2004 Gänsfüsser
Ungsteiner Weilberg
Winzer eG Herrenberg-Honigsäckel
Der Gänsfüsser erhielt seinen Namen von der Blattstruktur.
Er wächst seit Urzeiten an Häusern und wurde zu Pergolen hochgezogen.
Er ist das Großelternteil des Portugiesers und Lembergers.
Der Wein ist in alten barriques ausgebaut.
Schokolade und Heidelbeere in der Nase, käftige Tannine verbinden sich am Gaumen mit weichen Beeren, gut eingebundene Säure. Sehr wach trotz seines Alters.
Nun fährt Rudolf Knoll korrespondierende Schätze auf:
2015 Seelenfreund „Schilcher“
Blauer Wildbacher
Domaine Müller, Weststeiermark
Blauer Wildbacher, eine säurebetonte autochtone rote Traube der Steiermark, welche meist als Rosé ausgebaut wird und besser bekannt ist als „Schilcher“, steht ampelografisch nah an der Wildrebe.
In der Nase Erdbeeren, Majoran, Thymian, leicht nussig.
Am Gaumen gut eingebundene Säure, frische Noten von Sauerkirsche und Erdbeeren,
nussig würziges finish.
Ein exzellenter Schilcher.
Ein Wein für den Sommer, Terrasse und ein wenig Tomatenfoccaia.
2015 Assyrtiko
Kir-Yianni
Mountain Vineyards, Griechenland
Assyrtiko, weiße autochtone Traube Griechenlands.
Im Holzfass ausgebaut.
Kräftige Zitrusaromen eröffnen mit einer nussigen Note.
Am Gaumen dichter Schmelz, Haselnüsse, Brioche, abgelöst von frischen Zitrusnoten.
Sehr rund, lang, leicht toastig.
Als Speisengebleiter zu kräftigen Fischen, aber auch Spargel mit Schnitzel sehr geeignet.
2012 Ramnista
Xino Mavro
Kir-Yianni
Mountain Vineyards, Griechenland
Xino Mavro ist eine rote ebenfalls autochtone Traube und bedeutet übersetzt: Schwarz-Sauer
Rauchige Nase, Schwarzer Peffer, Schwarzkirsche, Rumtopf.
Am Gaumen sehr weich und beerig, abgelöst von jungen frischen Tanninen.
Sehr würzig und lang.
Als Speisenbegleiter zu Lamm oder Rind, gebraten mit Gewürzen ideal!
Zum Abschluss lässt uns Rudolf Knoll noch ein wenig in seine Schatzkammer blicken.
Wir verkosten zwei alte Rieslinge vom Weingut Othengraven, 1985 Auslese und 1993 Spätlese.
Aber das hat nun weniger mit den Wildreben zu tun, wenngleich die Weine unterschiedlicher nicht sein könnten und der 85er trotz oder wegen seines Alters einen kleinen Meilenstein darstellt.
Die Wildreben Exkursion war eine spannende Angelegenheit.
Ebenso die präsentierten Weine von Rudolf Knoll.
Ein wunderbares Gesamtpaket.
Wünschen wir den Findern und Bewahren weitere Mittel für ihre Forschung.
Und viele neue Rebenfunde.
Die griechischen Weine sind erhältlich bei der Weinhandlung Cava in Berlin.
Das Zusammenspiel von Speise & Wein ist meine Passion.
Vielen Dank an Rudolf Knoll und VINUM für diese Exkursion.
So informativ wie spannend. Danke!
Freut mich sehr!
Spannende Erkundung ganz neuer Sphären! Da folgt man gern unbekannten Pfaden.
Für mich war es eine ganz besondere Exkursion zu den Ursprüngen.
Und dann auch noch den Wein dazu im Glas!
Ein sehr ausführlicher und informativer Bericht zu einer sehr interessanten Exkursion. Damit wurden die vielen Fakten der Führung und der Weinprobe trefflich dokumentiert.
Liebe Frau Becker, danke für das Lob. Rudolf Knoll hat es auch gefallen.
liebe juliane,
sehr informativ spannend und , ich wäre gerne dabeigewesen !
die weinwelt ist so unfassbar gross – faszinierend wieviele facetten es gibt
schön, dass du diese exkursion für „uns leser“ mitgemacht hast.
wollte schon lange mal mehr über reben / klone / lernen – dein beitrag
ist jetzt der letzte tritt dazu..
ein spätes aber ehrliches
danke !
Danke, Harald, ich war ja selbst froh, das überhaupt erfahren zu haben und dann auch noch Zeit zu haben.
Na dann auf zum Lernen – da werden die Kommentare ja künftig noch gespickter….
..ja genau – ich , der alte klugsch…. – ich weiss, dass ich nix weiss 🙂
Das habe ich nicht geschrieben noch gemeint, lieber Harald.
Ich freue mich immer sehr, wenn meine Beiträge Dich und andere anregen…