Es gibt Rebsorten, die haben eine schöne hundertjährige Geschichte.
Leider liegen sie manchmal im Dornröschenschlaf.
Es gibt Rebsorten, die ändern sogar mehrmals ihren Namen.
Und dann werden sie in partiellen Teilen von engagierten Winzern wiederbelebt.
So geschehen mit Sämling 88, besser bekannt als Scheurebe.
Welche in Rheinhessen, Pfalz, Nahe und Franken schönste Ergebnisse erzielt.
Dennoch nur kaum der Bedeutungslosigkeit entrissen werden kann.
In den Köpfen der Konsumenten war die Rebe entweder als zu früh gelesenes wenig aromatisches Säuremonster oder als restzuckerbestücktes pappendes Tröpfchen abgespeichert.
Und sie gehört nun leider auch nicht zu den weit verbreiteten Sorten. Gerade mal 2% der deutschen Rebfläche und 0,9% der österreichischen ist damit bestückt.
Und dabei bringt sie unter der Pflege renommierter Winzer inzwischen wunderbare Weine hervor, die teils trocken ausgebaut zu Asiaküche oder Fisch gut harmonieren und im Süßweinbereich auch gerne Käse begleiten.
Die Scheu muss sich also nicht verstecken hinter ihrer geschmacklichen großen internationalen Schwester.
Das ist der Sauvignon blanc.
Sicher erklärt die aromatische Nähe der beiden Reben auch das Hintertreffen der kleinen Scheu.
Denn sowohl Winzer als auch Konsumenten greifen in der Auswahl oft lieber zu Bekanntem, als sich mit einem Nischenprodukt auseinander zu setzen.
Die „Scheu“, wie Liebhaber und Winzer sie nennen, wurde in Alzey vom Rebenzüchter Georg Scheu aus Riesling x Bukettraube (Silvaner x Trollinger) gekreuzt, als Alternative zum ihm zu säurebetonten Riesling. Das war im ersten Weltkrieg. Sie wurde unter dem Namen Sämling 88 eingetragen, wie sie in Österreich heute noch heißt. Weil man sie im zweiten Weltkrieg zugunsten des Landesbauernführers von Hessen-Nassau in „Dr. Richard Wagner Rebe“ umbenannte, musste sie als einzige Rebe nach dem Krieg „entnazifiziert“ werden und durfte mit Eintragung des Sortenschutzes in den 50ern Jahren den Namen ihres Züchtervaters tragen.
Was also tun, um die kleine Schwester aus ihrer Nische zu holen?
Am besten orientiere ich mich an Stefanie Wegmüller-Scherr, die es geschafft hat, vor Jahren eine Scheu in eine Sauvigon blanc Verkostung einzuschmuggeln und damit unter den ersten Plätzen landete.
Nun wirft sich gleich die nächste Frage auf: wenn die Scheu wie Sauvignon blanc schmeckt,
wie findet sich dann ihr Alleinstellungsmerkmal?
Die Scheu ist zarter, nicht so grasig, fruchtiger als ihre große Schwester.
Aber sie verlangt Hinsehen, Nachspüren, um sich ihr anzunähern.
Dann ist sie ein guter unkomplizierter Geselle.
Und sie hat sehr viele Gesichter!
Ich hoffe sehr, dass weitere Winzer ihr Potential erkennen!
Hier sind meine Funde.
Natürlich selektiv, denn alles weitere würde den Rahmen sprengen.
Die Klassiker
2016 Scheurebe trocken
Weingut Jülg, Pfalz
Ginster, Paprika, Feuerstein, Stachelbeere in der Nase, gefolgt von Himbeere und etwas Mineral.
Kräftige Säure im Gaumenauftakt, gefolgt von Cassis, kräutrigen Noten, Melone und leichtem Schmelz.
Im Nachhall weich, aber auch frisch, gut balanciertes Fruchtaromen-Säurespiel.
Ausgewogen. Klassisch. Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Speisen
Gemüses Suppe mit Garnelen im WanTan
Tarte mit Feigen und Schafskäse
Fenchelsalami, mittelalter Käse, mariniertes Gemüse, Pfifferlings Salat
Kalter Braten mit Estragon Remoulade und Rösti
2016 Scheurebe trocken
Weingut Bischel, Rheinhessen
In der Nase Paprika, Cassis, Stachelbeere, weißer Pfeffer, verhalten grasig.
Gaumenauftakt mit Paprika und Gewürzen, abgelöst von sanfter Säure, Noten von Stachelbeere, Thymian, sehr kühl und sehr grün.
Im mittleren Nachhall frisch, kühl mit guter Balance.
Klassiker. Leicht. Unaufdringlich.
Speisen
Bouillabaisse mit Sauce Rouille
Miesmuscheln im Weißweinsud
Asiagerichte (scharf)
Tafelspitz, Meerrettichsauce, Bouillonkartoffeln
2016 Scheurebe trocken, Gutswein
Wagner-Stempel, Rheinhessen
Üppige Nase von frischem Heu, Cassis, Stachelbeere, Blumenwiese, Litschi, weißem Pfeffer, Meersalz, Paprika.
Gaumenauftakt mit grünen Noten, Eisbonbon, Litschi, untermalt von feingleidriger sehr hintergründiger Säure, Tabak, Cassis und leichtem Schmelz.
Mittlerer Nachhall mit grünen Noten und präsenter feiner Säure. Sehr ausgewogen.
Trocken. Frisch. Gute Frucht-Säure-Balance.
Speisen
Fenchel-Ziegenkäse-Quiche mit Römersalat im Kartoffeldressing
Gebratener Zander, Lavendelschaum, Kräuter Risotto
Pot au feu von Edelfischen mit Safran und Chili, Sesam-Blätterteiggebäck
2016 Scheurebe trocken
Weingut Wittmann, Rheinhessen
Blütenhonig, Mango, Birne, Quitte, Kiefernnadeln, Muskat eröffnen eine eher dunkle Nase.
Am Gaumenauftakt Schmelz, viel gelbe Früchte, abgelöst von zitrischen Noten, Akazienhonig, Kiefernnadel, Paprika. Filigrane doch sehr auskleidende Säure.
Mittlerer Nachhall mit üppigen Fruchtaromen und guter Säurestuktur. Leicht grasiges zitrisches finish.
Braucht Zeit zur Entfaltung. Kräftiger Wein mit vielen Facetten.
Speisen
Tatar von Thunfisch und Saibling mit Avocado und Chili-Limetten-Dip
Blutwurstravioli mit Mango Chutney
Kaninchenroulade mit Weißweinschaum, Polenta Krapfen
Die Untypischen
2015 Scheurebe trocken
Weingut Wegmüller, Pfalz
Litschi, Haselnuss, Limette, kräutrig, Melone, Ananas, etwas Rauch in der Nase.
Schmelziger Auftakt am Gaumen, gefolgt von Rosenblättern, Honigmelone, Grapefruit, Ananas.
Leicht dropsige Säure bildet eine gute Untermalung.
Im mittleren Nachhall würzig mit ausgeprägten Fruchtaromen, unterstützt von filigraner Säure.
Runder Wein. Süffig. Untypisch.
Speisen
Speckmuffins, Feldsalat, Orangendressing
Königsberger Klopse und Wildreis
Ragout von Edelfischen, Zitronengrassauce, Süßkartoffelpüree oder Bandnudeln
2016 Scheurebe trocken
Weingut Engel, Rheinhessen
Die Nase ist geprägt von Maracuja, Birne, Toast, Blütenhonig, Majoran, weißem Pfeffer, gebrochenen Ästen.
Am Gaumen grüner Auftakt von geschnittenem Gras, gefolgt von Stachelbeere, Maracuja, Birne, Akazienhonig, etwas Schmelz, feine doch rassige Säure, gefolgt von zitrischen Noten.
Im mittleren Nachhall kräutrig, eher fein, mit Akazienfinish.
Verhaltene Nase. Zarter Wein. Untypisch.
Speisen
Gnocchi mit Pesto von getrockneten Tomaten oder leichter Käsesauce
Kartoffel-Gemüse-Auflauf
Speckknödel mit weißer Sauce, Bohnensalat
Die Gereiften
2014 Scheurebe feinherb
Theo Minges, Pfalz
In der Nase zitrische Noten, Maracuja, Orangen, Curry, Firn, Sandelholz.
Am Gaumenauftakt viel Schmelz und üppige dunkle Aromenfrucht, unterstützt von feingliedriger Säure. Dennoch zart.
Im mittleren Nachhall dunkel mit viel reifer Frucht, Firn, etwas restsüß mit leicht strukturgebender Säure.
Sehr eigen. Braucht Zeit. Guter Speisenbegleiter.
Speisen
Garnelencocktail mit Toast
Putencurry mit Ananas und Erbsen, Rotem Reis
Bohnencurry mit Schalotten, Thaibasilikum, Kokosmilch
Zander mit Parmesankruste, confierten Tomaten, getrüffeltem Kartoffelpüree
2011 Scheurebe trocken Ungstein
Weingut Pfeffingen, Pfalz
In der Nase zitrisch mit viel Firn, Karamell, Toast, Ananas, Mango, leicht buttrig, Holunderblüten, Stachelbeere, Rauch.
Kräftige Frucht am Gaumen, abgelöst von feiner und prägender Säure, toastig mit Noten von Paprika und Majoran.
Im langen Nachhall Schmelz und Firn bei prägender Säurestruktur.
Sehr gereift. Viel Firn. Langer Wein.
Speisen
Raclette mit La Ratte Kartoffeln, schwarzem Pfeffer, Perlzwiebeln
Trüffelravioli mit Kirschtomaten-Ragout
Pasteten vom Wild
Sepianudeln und Lotte in Kräuter-Weißweinschaum
Keine Scheu vor Sämling 88.
Geben wir der vergessenen Traube wieder einen Platz im Weinregal.
Bezugsquellen
Laibach und Seeger
Minges € 8,60
Weinhaus Ott
Jülg € 8,30
Pfeffingen € 11,20
Weinhaus Fehser
Wegmüller € 9,00
Riesling & Co.
Bischel € 9,90
Wagner-Stempel €8,90
Wittmann € 11,20
Engel € 7,90
Die WeinPlanerin. Wein und Speise. Korrespondierend oder Konträr.
Wie man lernt, muß ein Geschmackskünstler des Weins auch gestandener Historiker sein. Die solchermaßen auferstandenen Rebsorten machen neugierig. Mit solchen Sonderwünschen kann man manchen erprobten Weinhändler aus dem Trott bringen.
Na der Historiker in meiner Familie würde da sicher noch anderes zutage fördern. Aber ein Blick hinter die Kulissen ist doch immer wieder sehr erheiternd.
Nur schade, dass viele Weinhändler kaum noch Scheu im Programm haben….
hallo juliane,
schöne verkostungsbeschreibung – mal wieder 🙂
ich gestehe – ich mach´ einen grossen bogen um die scheu wo immer sie mir angeboten wird.
leider habe ich nur grauslige erfahrungen damit hinter mir , ob als schaumwein , trocken oder
restsüss – immer waren die „gaumenfreuden“ wie von dir ganz oben beschrieben.
gut, sauvignon blanc ist jetzt auch nicht meine lieblingsrebsorte…
aber, dass ist eben der feine unterschied – du nimmst dir ein herz für die underdogs
und findest offensichtlich die edelsteine unter den abbruchhalden der weinwelt – kompliment !
so soll ein weinblog sein – bei der nächsten gelegenheit werde ich der sämling 88 eine chance geben
und neugierig probieren – herr scheu wird´s dir danken !
alles liebe
harald
Ach das freut mich, Harald, wenn Du der Nischentraube noch einmal eine Chance gibst. Schön, wenn der Blog die Geschmackswelt meiner Leser bereichern kann!
Ich mag Sauvignon Blanc sehr (gleich nach Grauburgunder mein Lieblingsweissweintraube) – dass die Scheurebe ähnlich ist, wusste ich gar nicht. Werde ich bei der nächsten Gelegenheit gleichmal überprüfen – dann immer trocken nehmen, oder?
Kathrin, es kommt ein wenig auf Deinen Geschmack an. Es gibt auch sehr gute Sachen im restsüßen Bereich.
Ich habe mich im Artikel auf eine Stilistik konzentriert. Damit anzufangen ist sicher kein Fehler.